Pionierin der Psychotherapie in Afrika
Klapsmühle oder selbst zurechtkommen – Psychotherapie ist hier ein neues Feld
Es gibt in Afrika noch kein Bewusstsein dafür, dass psychosomatische Probleme behandelbar sind und – genau wie bei einem normalen Arztbesuch oder einer Operation – dafür Kosten anfallen. Psychotherapie existiert in der Region bisher noch nicht. Man kennt nur zwei Extreme: Klapsmühle oder irgendwie selbst zurecht kommen. Wer nicht zurecht kommt und auch keinen Halt in der Großfamilie findet, dreht schließlich durch und lebt auf der Straße von Almosen. Nur wenige Kirchliche Dienste kümmern sich um psychisch Kranke. Daneben gibt es gerade mal zwei große staatliche Psychiatrien fürs ganze Land, in denen Patienten jedoch nur, wie bei uns früher, auf geschlossenen Stationen mit Medikamenten vollgepumpt werden.
Immerhin gibt es inzwischen die Tendenz wahr zu nehmen, dass psychologisches Wissen wichtig ist. Erste Ausbildungsmöglichkeiten für Psychologen entstehen in Kamerun. Ein erster Lichtblick.
Psychotherapie für traumatisierte Afrikaner
„Ich pack’s nicht mehr.“ Der Anruf kam aus der zentralafrikanischen Republik, dem Nachbarland Kameruns, in dem ich viele Jahre gelebt und gearbeitet hatte. Es war Alice, eine Freundin aus dieser Zeit. Sie war völlig verzweifelt und voll innerer Not.
Der Bürgerkrieg hat das Land zerfressen: Die Menschen kennen seit Jahrzehnten kaum anderes als Gewalt, Vertreibung und Armut. Nicht einmal Journalisten wagen sich mehr dort hin. Das Land ist von der Welt vergessen.
Mehr Hintergründe über die Situation in der Zentralafrikanischen Republik auf Spiegel online
Spontan lud ich Alice mit einigen anderen zu mir ins friedliche Kamerun ein. Erst mal raus und weit weg von Schüssen und nächtlichen Überfällen! Bei mir fanden sie einen geschützten, liebevollen Raum und professionelle psychotherapeutische Begleitung.
Und ich fand mein neues Tätigkeitsfeld: Psychotherapie für traumatisierte Afrikaner.
Die Teilnehmer werden in therapeutischen Kleingruppen von mir fachlich betreut. Sie unterstützen einander jedoch vor allem auch gegenseitig, die nächsten inneren Schritte in den Alltag zu bringen. Ein strukturierter Alltag, gemeinsames Kochen, sportliche Aktivitäten in der Natur und Meditation am Strand schaffen einen festen und sicheren Rahmen. Meine psychotherapeutische Arbeit mit Einzelnen findet meistens in Gegenwart der ganzen Kleingruppe statt. Alle lernen so voneinander und helfen sich gegenseitig.
Verblüffend
Ich war verblüfft. Sie waren innerlich so kaputt und dennoch so offen. Ohne verkopfte Widerstände. In wenigen Tagen verstanden sie: Hier geht es nur um meine eigene innere Wahrheit. Soziale Hierarchien, Bildungsstand, Sprachen, Kulturen spielen keine Rolle. Ich bin hier Mensch unter Menschen.
Jeden Tag konnte ich sehen wie jeder Einzelne sich sichtbar veränderte, auflebte. Aufblühte wie eine halb verdorrte Blume, der man Wasser gibt. Sie sprudelten vor inneren Erkenntnissen, die sie wieder in ihre Mitte brachten. Ein Aha-Erlebnis folgte dem anderen. Jede Anregung griffen sie auf wie ein Schwamm.
Für mich war es unglaublich zu sehen, wie ausgehungert sie waren nach einer lebendigen Beziehung zu Gott. Sie spürten selbst, wie abgeschnitten sie waren und wollten die verlorene Einheit mit Gott wieder gewinnen. Darum gingen sie sofort an die Wurzel ihrer Leiden. Sie blieben nicht in mentalen Widerständen hängen und überwanden deshalb alle Hindernisse auf dem Weg zur Heilung.
Als eine Frau, der mehrere Kinder ermordet worden waren, bei mir eintraf, kam sie mit ihrer Wut und Aggression nicht mehr zurecht. Als sie wieder ging, wusste sie: „Ich kann nie wieder jemanden schlagen!“
Eine junge Frau, die seit Monaten so mit Psychopharmaka vollgepumpt war, dass sie kaum gehen konnte, verließ Kamerun ohne Medikamente. „Ich lebe nur in Lügen verstrickt!“ erkannte sie – damit war der Weg frei, sich ihrer eigenen Wahrheit zu stellen: Sie fühlte sich wegen ihrer Abtreibungen als Mörder ihrer Kinder. In einer Umgebung, in der die Kinder auf der Straße kein anderes Spiel im Kopf haben, als Menschen zu erschießen, wurde sie täglich daran erinnert. Doch sie begab sich in die Rolle des Opfers und geriet in fundamentalen Widerspruch mit sich selbst. Sie war als Schatten ihrer selbst gekommen und ging erhobenen Hauptes.
Es war wie eine Auferstehung. Und das alles in 18 Tagen.
Der Bedarf ist hoch
Ich war selbst erstaunt, wie viel ich mit meiner psychotherapeutischen Erfahrung dazu beitragen konnte, tiefe innere Wunden zu heilen. Diese Hand voll Zentralafrikaner, die halbtot bei mit angekommen waren, kehrten voller Energie und Tatendrang in ihre Heimat zurück.
Sie werden jedenfalls nicht die Flucht nach Europa antreten, ganz im Gegenteil: Sie schicken nun andere zu mir, die unter Depression, Panik, Aggression oder posttraumatischer Belastungsstörung leiden.
Schnell war klar: Der Bedarf ist unermesslich. Da wollte ich mich engagieren. Sowohl von meinem christlichen Engagement als auch von meiner medizinischen und therapeutischen Kompetenz her, bin ich geradezu prädestiniert für diese Aufgabe.
Zudem habe ich acht Jahre in ihrem Land gelebt, gearbeitet und gelitten. Als Fachärztin für Public Health bin ich auch 10 Jahre danach im ganzen Land bekannt und habe einen Vertrauensbonus für die psychotherapeutische Arbeit. Ich verstehe ihre Sprache, kenne ihre Kulturen und jeden Winkel ihres riesigen Landes. Ich bin geblieben, als fast alle Weißen flohen und habe vier Putsche überlebt. Für sie bin ich dadurch fast eine Einheimische.
Die damalige Mitarbeit in der Bischofskonferenz und in der ASSOMESCA, dem Zusammenschluss aller christlichen Gesundheitsdienste für die ganze Zentralafrikanische Republik, öffnen mir auch jetzt viele Türen.
Langfristige Perspektive
Mein Ziel ist es, in den nächsten Jahren zwischen der Zentralafrikanischen Republik und Kamerun ein Netzwerk aufzubauen. Ich möchte möglichst vielen die Chance geben, in einer friedlichen Umgebung wieder zu sich selbst zu kommen und dabei auch therapeutisch begleitet zu werden.
Die dies erfahren haben, sind auch meine Botschafter, die ich ins Land schicke: Frieden, Heilung und Vergebung sind möglich. Langfristig möchte ich möglichst viele der dortigen Mitarbeiter als Multiplikatoren fortbilden. Sie werden dann einfacher gelagerte Fälle selbst angehen und die anderen, für die ein Aufenthalt bei mir in Frage kommt und auch nötig ist, aussuchen und zu mir „überweisen“.
In Kamerun selbst, das gerade die Psychosomatik als Teil eines eigenes Fachgebiets „Sante Mentale“ (Mentale Gesundheit) entdeckt, werde ich damit zudem als Pionier beim Aufbau helfen. Gespräche sind in Gang. So könnten junge Kollegen etwa die Möglichkeit bekommen, sich bei mir in der Gruppentherapie durch eine Famulatur fortzubilden.
Die finanzielle Dimension: Eigentlich nur Härtefälle
So gut wie alle sind Härtefälle. Kaum einer kann die Kosten für den Aufenthalt zu mehr als zehn Prozent selbst tragen.
Wer zu mir kommt und arm ist, gibt was er kann. Manchmal eine Hand voll Erdnüsse oder eine Papaya. Ich nehme das an, denn einerseits ist das eine Wertschätzung ihnen gegenüber, anderseits wird damit auch meine Arbeit anerkannt und verliert sich nicht als kostenlos und deshalb scheinbar selbstverständlich.
Doch wo kann das Geld dafür herkommen? Meine eigenen Einnahmen aus Seminaren, die ich in Deutschland mache, in denen es ebenfalls darum geht, sich aus der Rolle des Opfers zu befreien, fließt in diese Tätigkeit. Doch das allein deckt die Kosten nicht. Die Versorgung der Teilnehmer muss gewährleistet sein. Manchmal sind Medikamente nötig. Vor allem aber: Aus dem Nachbarland muss der Flug bezahlt werden, weil die Straßen immer noch zu unsicher sind, um sie zu passieren, und geschossen wird. Das schlägt zu Buche.
Ich kann nicht nur aus Sicherheitsgründen dort derzeit nicht einreisen: Die Teilnehmer zeitweise aus der dort herrschenden Angst und Bedrückung raus zu holen, ist die wichtigste Grundlage, damit die Maßnahmen überhaupt Erfolg haben können.
So bin ich auf die Mithilfe von Menschen angewiesen, deren Augen mehr sehen als das, was die täglichen Nachrichten verbreiten, und die – gemeinsam mit mir – Fluchtursachen da auflösen wollen, wo sie entstehen, und bereit sind, sich dafür einzusetzen, dass diese Menschen wieder Mut zum Leben bekommen. Für eine Zukunft Zuhause im eigenen Land.