Warum ich Menschen helfe, anderen zu vergeben
„Nie hätte ich geglaubt, dass sich Verstrickungen so lösen können! Wo sie doch mein ganzes Leben bestimmt haben!“, beschreibt eine etwa 50jährige Frau, die in ihrem Leben sexuellen Missbrauch erlebt hat, ihre Situation nach einem meiner Selbsterfahrungs-Seminare.
Sind Sie schon mal von jemandem verletzt worden? So sehr, dass es schwer viel, dem anderen zu vergeben? Dann wissen Sie, wie sehr dabei Vertrauen zerstört wird. Wie unfrei es sich anfühlt. Doch man kann das hinter sich lassen. Vergeben befreit!
Meine Seminare sind ein Anlaufpunkt für Menschen, die denen vergeben möchten, von denen sie verletzt wurden. Die raus wollen aus der Rolle des Opfers, die ihr ganzes Leben bestimmt.
Es berührt mich selbst tief, wenn Teilnehmer am Ende des Seminars ihre Erfahrungen mit mir teilen. Dann weiß ich im Herzen in aller Klarheit: Ich tue das richtige. Die Befreiung, die ich miterleben darf, ist so enorm.
Es hat mich umgetrieben
Die Frage nach dem Platz für die Opfer trieb mich schon zu meiner Studienzeit um. Durch meinen christlichen Glauben, meine Rolle als Ärztin und mein Engagement für die Schwachen steht mir von jeher die Situation der Gedemütigten, Verletzten und in den Schmutz Getretenen vor Augen.
Genügt es wirklich, auf den gekreuzigten Jesus zu verweisen?
Traditionell ist in der Kirche der Umgang mit Schuld, Sünde und eigenem Versagen tief verankert. Seelsorger haben die Aufgabe, dazu zu helfen, dass Täter Schuld eingestehen, sich dazu bekennen und die Erfahrung von Vergebung gelingt. Dem Täter bleibt die Beichte. Doch was ist mit Menschen, denen – subjektiv oder objektiv – Unrecht widerfahren ist? Die sich als Opfer erleben?
An der Grenze von Psychotherapie und Spiritualität
Die Frage ließ mich nie los. Als ich durch meine Arbeit an seiner psychosomatischen Klinik Dr. med. Konrad Stauss traf und sein interdisziplinäre Herangehensweise kennen lernte, wusste ich: Das ist es!
Er hatte in seiner psychotherapeutischen Praxis erkannt, wie befreiend und heilsam für Menschen ist, dem Täter vergeben zu können. Und hatte gehandelt: in seinem Konzept ergänzen sich psychotherapeutische und spirituelle Elemente. Er sprach mir damit aus dem Herzen.
Ich ließ mich – als eine der ersten – von ihm als Vergebungstrainerin ausbilden und arbeitete jahrelang, bis zu seinem Tod 2016 eng mit ihm zusammen.
Danach war mir wichtig, dass das begonnene Unternehmen nicht versandete. Daher entschied ich mich, weiter Seminare anzubieten, sein Erbe fortzuführen und dabei, ganz in seinem Sinn, das Begonnene weiter zu entwickeln.
Das Projekt ist erst am Anfang. Wieder einmal bin ich als Pionierin unterwegs – diesmal eine Pionierin in Deutschland.
Aus eigener Erfahrung
Wusste ich doch aus eigener Erfahrung, dass seelische Wunden noch lange zurück bleiben, wenn Abszesse, Knochenbrüche und Schusswunden bereits lange verheilt sind. Ich sah immer wieder, wie, wie Menschen erlittene Traumata mit sich trugen. Wie sie sogar von einer Generation in die Nächste weiter getragen wurden.
In der bürgerkriegs-gezeichneten Zentralafrikanischen Republik, in der ich als eine der wenigen Weißen aushielt, als längst alle die Flucht ergriffen hatten, war ich mehrmals vom Tod bedroht gewesen. Die Verstörung, der Film, der immer und immer wieder vor dem geistigen Auge abläuft, die wiederkehrende Angst, all das hatte ich selbst erlebt. Und hatte auch selbst den Prozess des Vergebens durchlaufen: Ich hatte erfahren, wie machtvoll die Befreiung ist, als ich denen vergeben konnte, die, obwohl sie aus meinem engsten Umfeld stammten, mich mit dem Tod bedroht hatten.
Psychotherapie und Spiritualität waren in meiner Arbeit längst eine Verbindung eingegangen. Doch bei Konni Stauss fand es eine durchdachte und strukturierte Form.
Wissenschaftlich fundierte Quertreiberei
Sein Ansatz ist gut durchdacht und wissenschaftlich untermauert. In einer Studie mit 5000 Patienten erforschte er die Hauptheilungsfaktoren bei seelischen Verletzungen.
Naheliegend ist neben der therapeutischen Begleitung das tragende Soziale Netz, das den Verletzten auffängt.
Darüber hinaus jedoch fand er zwei weitere wichtige Umstände: Einerseits einen hoffnungsvollen Glauben an den Beistand von Gott oder wohlwollenden Mächten. Andererseits die Fähigkeit, dem Täter zu vergeben. Vergeben aber gehört ebenfalls in die spirituelle Dimension.
Seine Folgerung: Um alle Ressourcen für eine Heilung zu aktivieren, ist es nötig, den Spalt zwischen Pastoral und Medizin zu schließen und beides zu integrieren. So ist die beste Versorgung gewährleistet und ein optimaler Heilungserfolg zu erzielen.
So etwas zu wagen, erregt auf beiden Seiten zunächst Misstrauen. Doch bei denen, die das Programm durchlaufen, verfliegt schnell die Skepsis. Psychotherapeutische und spirituelle Ansätze werden gerade nicht vermischt, sie behalten ihr jeweils eigenes Recht und erhalten den ihnen gebührenden Ort. Die Erfolge überzeugen.
Für einen so ganzheitlichen Zugang, der sich dennoch aus dem jeweiligen Fachwissen speist, ohne es zu verkürzen, gibt es erst wenige Beispiele.
Frei von der Macht des Täters
Menschen, die von tiefen inneren Wunden gezeichnet sind, wissen oft nicht mehr weiter. Denn sie erleben: Der Täter hat weiter Macht über mein Leben.
Er bleibt nicht nur in der Position des Mächtigen, dem das Opfer sich weiterhin ausgeliefert fühlt und die Erinnerung eins ums andere Mal im Inneren wiederholt.
Es entsteht zudem ein fataler Kreislauf: Die erlebte Ohnmacht verhindert auch in weiteren Situationen, auf zu stehen und sich mit den eigenen Interessen durch zu setzen. Wer aber den Kopf einzieht, wird weiter übergangen. Die ursprüngliche Situation zieht weitere nach sich. Viele erleben sich eins ums andere Mal in unterschiedlichen Situationen als Opfer.
Davon frei zu werden, verändert das ganze Leben.
Die Seminare nach Konni Stauss bieten dafür Werkzeuge an. Der Täter wird entmachtet, positive Bilder setzen sich durch, die „festgeschriebenen“ Rollen lösen sich auf. Es besteht kein Zwang mehr, den anderen zu beschuldigen. So kann man auf Augenhöhe gehen. Die Opferrolle fällt ab, der Blick ist frei.
„Ich kann wieder zu mir selbst stehen“, sagt eine Teilnehmerin, die das fast ihr Leben lang nicht konnte.
Das zertrümmerte Selbstwertgefühl ersteht neu. Kraft breitet sich aus. Die Handlungsmöglichkeiten erweitern sich schlagartig.
Der Spreißel wurde entfernt
Wenn das Seminar endet, ist der Schlusspunkt der Entwicklung nicht gesetzt. Der eigentliche Heilungsprozess setzt ein, wenn das hinderliche Rollenbild entfernt wurde.
„Als Pflegefachfrau ist mir das Bild des Spreißels in der Wunde mit Eiter mehr als eindrücklich, und ich finde dies sehr hilfreich“, sagt eine Teilnehmerin.
Rita hat als Familienmutter und Ehefrau immer zurückgesteckt: „Ich habe schon viel an meinem Vergebungs-Thema gearbeitet. Doch das war alles nur ein Rumdoktern ohne nachhaltigen Erfolg. Jetzt habe ich den Spreißel gefunden. Der Fremdkörper ist weg und die Wunde kann heilen.“
Die Veränderung ist nachhaltig. Der Weg geht Richtung Freiheit. Doch umfassende Heilung braucht Zeit, um sich auszuwirken und in die Tiefe zu dringen.
Ausbildungskurs im Frühjahr 2019
Die Seminare heilen nach. Dieser Erfahrung trägt die Aufteilung des Fortbildungskurses zum Vergebungstrainer, der im Frühjahr startet, auf drei Wochenenden Rechnung. So wird umfassende Begleitung möglich und der Einzelne nicht überfordert.
Wie schon die Selbsterfahrungsseminare, werde ich diesen Kurs wieder gemeinsam mit Kollegen leiten. Jeder bringt dabei eigene Qualitäten und Erfahrungen aus die sich gegenseitig befruchten. Ich arbeite, wann immer ich kann, im Team.
Unter Medizinern geht es oftmals recht individualistisch zu. Meine Partner finde ich durch Kontakte in der Fokolarbewegung. So verbindet uns eine spirituelle Grundlage, während wir uns in Beruf, Sozialgefüge und Geschlechterrolle sehr unterscheiden.
Beziehung und Frieden
Die Gründerin dieser Bewegung, Chara Lubich, ist mir zur spirituellen Mutter geworden. Am Ende ihres Lebens sprach sie ihre Besorgnis aus: „Was macht dir sorgen?“, wurde sie gefragt. Sie antwortete: „Die Beziehungen zwischen uns“. Für mich eine Art Testament. Und Auftrag.
Wenn die Opferrolle sich auflöst, schwindet das Misstrauen. Die Fähigkeit, Beziehungen neu zu knüpfen und zu erleben, wächst. Vergeben zu können, bedeutet Freiheit und Kontakt zum Leben. Frieden kann reifen.
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