Kamerun am 21. Mai. Ich bin gerade beim Sonntagmorgen-Frühstück – ein Anruf: Claire ist verstorben. Sie brach morgens plötzlich vor dem Bett zusammen und war 10 Minuten später tot. Der Schock saß tief. „Am Freitag haben wir noch „gefrotzelt“ und am Montag ist sie nicht mehr da“, brachte Dramane erschrocken hervor.
Claire Seppo Manyaka war unsere Buchhalterin und Sekretärin für die HUPJEFI-Zentren und an der Schneiderschule DORIANA. Erst 43, eine vielversprechende Mitarbeiterin und über einige Jahre ins Projekt hineingewachsen. Mit Geldfragen erwies sie sich als absolut verlässlich, so dass man ihr auch diskrete Aufgaben anvertrauen konnte. An der DORIANA unterrichtete sie mit einigen Stunden Bürgerkunde und Business-Administration.
Erst nach ihrem Tod bekam ich mit, was alles sie noch gewesen ist: Eine Mutter für die 11 HUPJEFI-Mädchen an der DORIANA, die kaum eine eigene Familie kennen. An eigenen Kindern hat sie nur einen Sohn, nun hatte sie einige Töchter. Ihr Büro liegt in den Räumen der DORIANA, und dort bekamen die Mädchen sie nicht nur als Fachlehrerin mit, sondern auch in den Pausen – sie war einfach da. Sie hörte zu und begleitete sie in den Krisen ihrer Pubertät. Fast alle Mädchen kennen sexuelle Ausbeutung, so dass die Aufgabe besonders fordernd ist – sie stellte sich ihr voll.
Der Schneidermeister Dramane ist demgegenüber in die Rolle eines Vaters hineingewachsen. Schon die Schneiderwerkstatt, aus der die DORIANA hervor gegangen ist, stand unter seiner Leitung. In ihm erleben sie eine männliche Bezugsperson, die sie nicht ausbeutet. Manche das erste Mal im Leben. So kann zerstörtes Vertrauen ins Leben und die eigene Identität als Frau neu wachsen.
Die Mitarbeiterfortbildung, vier Tage nach Claires Tod, verkürzten wir und holten stattdessen die Mädchen dazu. Die Mitarbeiter, die ja selbst betroffen waren, kümmerten sich nach Kräften um die Mädchen, die weinten und sich kaum beruhigen konnten. Dann begann Marie-Claire, das Mädchen, das die schwere Gesichtsverbrennung gehabt hatte, eine Melodie zu summen. Sie machte spürbar und hörbar, was alle bewegte.
Wochenlang – die Beerdigung wurde wegen den Prüfungen ihres Sohnes hinausgeschoben – kamen bis zu 50 Besucher jeden Abend in Claires Haus, um mit den Angehörigen zu beten und zu singen, zuzuhören und zu trauern. Nach der Beerdigung standen die DORIANA-Mädchen erschüttert am Grab. Marie-Claire hatte die spontane Melodie zu einem Lied ausgebaut, die alle Mädchen inzwischen mitsingen konnten – doch dort am Grab ging alles in Schluchzen unter.
So schnell kann es gehen und der Mensch neben uns ist auf einmal nicht mehr da. Es schien allen, als ob Claire noch dort auf ihrem Stuhl säße. Man konnte sie nicht so schnell ersetzen. Alle Mitarbeiter aus der DORIANA und den HUPJEFI-Zentren rückten enger zusammen und übernehmen vorübergehend Claires Aufgaben.
Claire wird fehlen.
Reginamaria Eder
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